Dr. Carsten Karcher über Nachhaltigkeit des Baustoffs Asphalt

Dr. Carsten Karcher über den Nachhaltigen Einsatz des Baustoffs Asphalt: Recycling Asphalt, Niedrigtemperaturasphalt, Temperaturabgesenkter Asphalt

Es ist jetzt an der Zeit etwas zu verändern! Zum Thema „Nachhaltiger Einsatz des Baustoffs Asphalt“, laden wir Dr. Carsten Karcher (Geschäftsführer des Europäischen Asphaltverbands) zum Interview ein.

infraTest: Herzlich willkommen Herr Dr. Karcher. Vielen Dank, dass Sie sich für unser Interview Zeit genommen haben. Als Geschäftsführer der EAPA haben Sie mit Sicherheit viel zu tun. Was sind Ihre Hauptaufgaben?

Karcher: Ich bewege mich auf dem Brüsseler Parkett und sammle Informationen zu Regulierungen, Gesetzgebungen, Initiativen und relevante Asphaltinformationen von den Mitgliedsfirmen und -ländern. Danach bereite ich diese auf und gebe sie an die Mitglieder des Verbands weiter. Ich moderiere und vertrete die Interessen des Asphaltverbandes, wobei ich versuche unterschiedliche Ziele zu harmonisieren.

infraTest: Ein spannendes, aber auch anspruchsvolles Aufgabengebiet. Welche Erkenntnisse konnten Sie aus Ihrer Arbeit bezüglich der Nachhaltigkeit des Baustoffs Asphalt ziehen?

Karcher: Nachhaltigkeit ist ein oft diskutiertes und hochaktuelles Thema. Das macht es sehr komplex, denn es fehlt an einem einheitlichen Verständnis für diesen Begriff. Asphalt ist zu 100 % wiederverwendbar. Dadurch sind wir grundsätzlich sehr nachhaltig. Diese Erkenntnis gibt es schon seit ca. 35 Jahren. Dazu kommen neue Entwicklungen, Themen bezüglich CO2 Emissionen und der gesamten CO2-Bilanz, Ressourcenschonung und Umweltschonung. Die Frage ist immer: Wo kann man was einsparen?
Dies wäre beispielsweise im Bereich der Asphaltherstellung, des Asphalttransports oder des Asphalteinbaus möglich. Aber auch die Betrachtung der Fahrzeuge, die auf dem Asphalt fahren und CO2 ausstoßen, ist heranzuziehen. Es geht um den Spritverbrauch, den Rollwiderstand und somit um den CO2-Verbrauch. Straßen, die gut erhalten und eben sind, reduzieren den Rollwiderstand und damit die CO2 Emissionen.
Nachhaltigkeit ist daher sehr breit gefächert: Welche Rohstoffe werden verwendet, wie weit sind die Lieferwege, mit wie viel Energieeinsatz wird der Asphalt hergestellt (Stichwort Niedrigtemperaturasphalt)? Wird der Asphalt mit Geräten eingebaut, die elektronisch oder mit erneuerbaren Energien betrieben werden? Wie dauerhaft ist der Asphalt? All diese Faktoren haben eine hohe Relevanz. Abschließend ist zu betrachten wie viel Energie der rollende Verkehr auf dieser Straße benötigt.

 

infraTest: Wo sehen Sie die größten Potenziale, um den Nachhaltigkeitsgedanken in Bezug auf Asphalt umzusetzen?

Karcher: Das mit Abstand größte Potenzial ist während der Nutzungsphasen von Straßen auszumachen. 95-98 % der Energie wird während der Nutzungsphase verbraucht. Nicht etwa für die Erhaltung, sondern für den Verkehr der darüber rollt. Es ist fraglich, inwieweit das dem Baustoff anzulasten ist. Aber auch das gehört zum Lebenszyklus des Asphalts.
Die Herstellung des Baustoffs ist somit schon fast untergeordnet. Dennoch gibt es auch hier große Möglichkeiten. Wir, im Europäischen Asphaltverband, erheben regelmäßig Daten zu dem „Asphalt in Figures“. In diesem Zuge ermitteln wir die durchschnittliche, länderspezifische CO2 Emission für eine Tonne Asphalt und wie sich diese verändert.
Weitere Einsparpotenziale ergeben sich durch Recycling, niedrigere Temperaturen, andere Baustoffe, verschiedene logistische Aspekte und Transportwege. So könnte die Asphaltindustrie die 50 % bzw. 55 % geforderte Emissions-Senkung, welche die Europäische Kommission als Ziele bis 2050 ausgerufen hat, schon heute leisten.

 

infraTest: Das absolute Schlagwort der Branche ist Niedrigtemperaturasphalt. Sind Sie der Meinung, wir müssen diesen Aspekt im Sinne der Nachhaltigkeit weiter forcieren oder gibt es andere Bereiche, in denen wir schnellere Erfolge erzielen könnten?

Karcher: Die Asphaltindustrie verwendet sehr viel Asphalt wieder, wodurch wir den Nachhaltigkeitsgedanken schon vor den Diskussionen umsetzten. Aktuell würde ich sagen, liegt das größte Potenzial in den Brennstoffen für die Asphaltmischanlagen. Es ist zu überprüfen, wie nachhaltig diese sind, da sie in die CO2-Bilanz pro Tonne Asphalt eingehen. Mögliche neue Optionen sind Biobrennstoffe.
Aber auch der Niedrigtemperaturasphalt spielt eine Rolle, weil er Energie einsparen kann. Der Niedrigtemperaturasphalt hat aber verschiedene Aspekte und das ist nicht nur der, der CO2 Emission. Es sind auch die Einsatzmöglichkeiten dieses Baustoffs. Schnelleres Auskühlen, schnellere Verkehrsfreigabe und schnelleres Durchführen einer Erhaltungsmaßnahme. Senkt man die Einbautemperatur von Asphalt um 10 K, reduzieren sich die Emissionen um 50 % und somit die Dämpfe, die aus dem heißen Asphalt austreten.

 

infraTest: Der Niedrigtemperaturasphalt klingt fast wie ein Wundermittel. Hat er auch Nachteile?

Karcher: Niedrigtemperaturasphalt ist normaler Asphalt, der mit einem anderen Prozess hergestellt wird. Diese verschiedenen Herstellungsmethoden führen dazu, dass überwiegend weniger Energie beim Einbau benötigt wird. Jedoch müssen Randbedingungen beachtet werden: Für eine ausreichende Verdichtung, darf der Asphalt nicht zu stark auskühlen. Hinsichtlich dieses besonderen Handlings bedarf es Erfahrung. Aber die Informationen, die uns von anderen Ländern vorliegen, zeigen keine Nachteile und im europäischen Ausland wird bis zu 40 % Niedrigtemperaturasphalt eingebaut. In Deutschland ist teilweise die Ansicht vertreten, dass die Dauerhaftigkeit bei Niedrigtemperaturasphalt leidet. Jedoch können das andere Länder nicht bestätigen. Deswegen ist davon auszugehen, dass dieser Baustoff bei richtigem Einsatz eine Weiterentwicklung des Asphalts ist, wie wir ihn aktuell kennen.

 

infraTest: Warum hat es dann so lange gedauert, bis sich das Herstellungsverfahren für diesen Asphalt entwickelt hat. Gab es keinen Bedarf?

Karcher: Meiner Meinung nach, waren der Bedarf und der Druck nicht gegeben. Es ging nicht darum Energie einzusparen oder Emissionen zu reduzieren, noch um frühere Verkehrsfreigabe. Der Niedrigtemperaturasphalt ist schon vor ca. 20 Jahren in Deutschland und Skandinavien entwickelt worden und verschwand danach in der Schublade. Erst nach einer Scanning Tour der Amerikaner in Deutschland 2007, wurde dieses Konzept populärer. Rückblickend waren die entwickelnden Ingenieure 20 Jahre zu früh dran.
Es verhält sich nun wie damals mit dem Splittmastixasphalt, der 20 Jahre lang als Sonderbauweise galt, bevor er in das „richtige“ Regelwerk aufgenommen wurde. Genauso ist es jetzt auch bei Niedrigtemperaturasphalt. Wir Deutschen brauchen diesbezüglich einfach ein bisschen länger.

 

infraTest: Ist momentan schon jede Asphaltmischanlage in der Lage Niedrigtemperaturasphalt herzustellen oder muss erst noch eine Umstellung erfolgen?

Karcher: Das ist eine Frage, die ich nicht in Gänze beantworten kann. Es hängt von der Maschinentechnik ab. Es gibt die Möglichkeit Niedrigtemperaturasphalt mit Schaumbitumen herzustellen. Das ist dann ein Wasserdampf-Bitumengemisch, das die Viskosität reduziert. Alternativ ist die Verwendung von Additiven eine Option, welche entsprechend dosiert werden müssen. Aber Umrüstungen sind nicht hinderlich. Niedrigtemperaturasphalt ist kein Exot. Die Asphaltmischanlagenhersteller verfügen über die benötigte Technologie.

 

infraTest: Zuvor haben Sie die Nutzungsphase als wichtiger Ansatzpunkt bezüglich des Nachhaltigkeitsgedanken identifiziert. Welche Maßnahme sollte man Ihrer Meinung nach an zweiter Stelle verfolgen?

Karcher: Das ist der Themenbereich Kreislaufwirtschaft. Das heißt jede Tonne Asphalt, bleibt auch in der Zukunft eine Tonne Asphalt und wird genau wieder in der Schicht eingesetzt, aus der sie entnommen wurde (Wiederverwendung oder re-use). Also als Deckschicht, Binderschicht oder Tragschicht. Somit bleibt es auf jeden Fall Asphalt und kein untergeordnetes Produkt. Denn das wäre Recycling.
Darin liegt der Vorteil von Asphalt. Bei ordnungsgemäßer Aufnahme aus der Straße und Aufbereitung entsteht ein fast 100 prozentiges Replikat des Ausgangsstoffs. Manchmal sind Rejuvenatoren hinzuzugeben, weil das Material einer Alterung unterliegt. Wenn irgendwann keine zusätzlichen Straßen mehr gebaut werden, sondern nur vorhandene neu aufbereitet, dann wird der Asphalt wieder an dieser oder an einer anderen Stelle im Kreislauf eingebaut. Das bedeutet wir werden kein neues Bitumen und keine neuen Gesteine benötigen, sobald eine Sättigung unserer Infrastruktur erreicht ist. Dies verstärkt das Phänomen der Kreislaufwirtschaft. Es wird nichts weggeschmissen und mit Neuem ersetzt.
Das entspricht auch der Abfallhierarchie, nach der zunächst Abfall vermieden wird. Wenn man Abfall nicht vermeiden kann, ist das Produkt zu reparieren. Asphalt würde in diesem Fall saniert, bzw. erhalten werden. Wenn das nicht geht, sollen wenigstens Teile von diesem Produkt in einem gleichartigen neuen Produkt Verwendung finden (also Asphaltwiederverwendung). Wenn das nicht möglich ist, ist der enthaltene Baustoff, für einen Recyclingprozess zu verwenden. Asphalt ist demnach in einem anderen Straßenbauprodukt als schwarzer Stein einzusetzen.

 

infraTest: Vielen Dank für diese umfangreiche Einschätzung. Welches Projekt steht bei Ihnen als Nächstes an? In ein paar Monaten findet der E&E Kongress statt. Freuen Sie sich schon darauf?

Karcher: Ja, riesig! Ich bin glücklich, wenn es endlich losgeht. Sie können sich nicht vorstellen, wie viel Arbeit und Herzblut in diesem Projekt steckt. Denn nach der pandemiebedingten Verschiebung haben wir das Format in einen virtuellen Kongress geändert. Ich bin am meisten darauf gespannt, wie unsere Veranstaltung angenommen wird. Bisher sind schon über 500 Teilnehmer angemeldet und wir haben eine volle virtuelle Ausstellung. Sowohl bei den Ausstellern, als auch bei den Vorträgen. Wir haben wieder erstklassige Redner eingeladen und informative Messestände, die mit innovativer und smarter Technologie neue Maßstäbe setzen. Aber unser Highlight sind die Live Sessions. Auch nach den Vorträgen gibt es live Q&A, sodass jeder herzlich eingeladen ist, mit uns zu interagieren. Bei unserem E&E Kongress sind virtuelle Besucher nicht nur passiv dabei. Wirken Sie aktiv mit und tauchen Sie in eine neue Welt ein. Ich freue mich Sie vom 15. bis 17.06. online begrüßen zu dürfen!